Impulspapier
Das Impulspapier MUSIK INKLUSIV skizziert die Vision einer inklusiven Musiklandschaft und zeigt konkrete Wege zur Umsetzung auf. Es ist ein Aufruf, Musik für alle zugänglich zu machen – über alle Grenzen hinweg.
Grundsätzliches
Dieses Impulspapier vertritt die Leitidee einer inklusiven Gesellschaft, wie sie seit dem Jahr 2008 mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung handlungsleitend für alle Lebensbereiche umzusetzen ist. Für die Realisierung aller obgenannten musikalischen Aktivitäten bedeutet dies konkret, inklusive Prozesse in Bezug auf die musikalischen Grundrechte zu initiieren.
Das heißt: Alle Menschen haben das Recht,
- sich frei musikalisch auszudrücken sowie musikalische Ausdrucksformen und Fähigkeiten zu entwickeln und Fertigkeiten zu erlernen,
- „Musizieren zu lernen, selbst Musik zu machen, zu Hören, zu Verstehen und Musik gemeinsam zu erleben“ und zu gestalten,
- aktiv am öffentlichen musikalischen Leben der Gesellschaft teilzuhaben.
Ebenso haben alle Musikschaffenden das Recht,
- sich als Künstler*innen entsprechend zu entwickeln,
- in allen Medien zu kommunizieren, indem ihnen angemessene Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden,
- auf angemessene Anerkennung und Vergütung ihrer Arbeit.
Inklusion ist unteilbar! Inklusiv gelebte Musikkultur verbindet Menschen unter dem Blickpunkt gesellschaftlicher Diversität, sie „wirkt gemeinschaftsstiftend, generationen- und kulturübergreifend. Als Zeichen menschlicher Vielfalt werden Begabungen und Behinderungen wertfrei betrachtet“ und in ihrer vollen Breite anerkannt.
Daher erfordert dies einen individuell gestalteten Zugang für den musikalischen Bildungsauftrag, in Bezug auf Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationserfahrungen, Menschen mit Hochbegabungen, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senior*innen sowie weitere Zielgruppen mit ihren jeweils spezifischen Bedingungen.
Die österreichische Musikkultur hat in den Bildungseinrichtungen den öffentlichen Auftrag, allen Menschen inklusionsangemessene Angebote bereit zu stellen, zunehmend auch vernetzt mit anderen öffentlichen, aber auch privat-gemeinnützigen Institutionen als Bildungspartner. „Hierzu soll der Index für Inklusion […] [handlungsleitend] sein. Dabei sind örtliche und situativ ausgeprägte Ausgangslagen zu berücksichtigen.“ Das erfordert die Initiierung und Steuerung eines kontinuierlichen Prozesses, der es Menschen mit Behinderung ermöglicht, ihr kreatives und künstlerisches Potenzial für sich selbst und im musikalischen Leben der Gesellschaft zu verwirklichen. Daraus ergibt sich ein konkreter Handlungsauftrag für die mit Musik befassten und beauftragten Menschen und Institutionen.
Umsetzung
„Die politische […] Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft wird erheblich durch die Auswirkungen eines gleichzeitig stattfindenden Wandels [in der Gesellschaft und ihren Systemen] beeinflusst.“ […] „Jeder einzelnen […] [Institution (sowohl Bildung als auch Veranstaltungen betreffend)] stellt sich die Aufgabe zu prüfen, ob sie alle Menschen, die aktiv musizieren [bzw. am Musikleben teilhaben] wollen erreicht.“ […] „Das bedeutet für die […] [jeweilige Institution] als lernendes System die Notwendigkeit wie auch die Bereitschaft, den eigenen […] [Stand der Entwicklung ständig zu reflektieren und] zu überprüfen.“
Konkret heißt das,
- Vielfalt und Heterogenität als Chancen für ein gleichwertig gestaltbares Zusammenleben zu erkennen und zu nutzen,
- die Achtung der Individualität aller,
- weitgehende Selbstbestimmung jeder*jedes Einzelnen als Ziel,
- die volle Partizipation („full participation“) aller Menschen am musikalischen Leben der Gesellschaft durch diskriminierungsfreie Angebote und angemessene Vorkehrungen,
- die Gewährleistung einer äußeren (z. B. baulichen, strukturellen, organisatorischen) und inneren (z. B. pädagogischen, kulturellen) Barrierefreiheit.
und weiters
- die Forcierung eines inklusiven Prozesses an öffentlichen und privaten Musikschulen, Kindergärten, Schulen, Vereinen, Freizeiteinrichtungen sowie Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstitutionen, wie Musikuniversitäten, Pädagogischen Hochschulen, Konservatorien, Volkshochschulen etc.
Zielsetzung
In inklusiven musikalischen Bildungsformaten mit Wirksamkeit für alle Menschen
- sind individuelle Unterstützung und Differenzierung der Angebote das Ziel,
- sind individuelle Strategien gemeinsam von Lehrenden und Lernenden zu entwickeln, um Barrieren zu überwinden oder zu umgehen,
- sind Neugierverhalten und Mitgestaltung gewünscht und wird die grundsätzliche Leistungsund Entwicklungsfähigkeit aller anerkannt,
- sind Selbsttätigkeit, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung gleichermaßen Weg und Ziel,
- finden sich Gelegenheiten, das eigene Können, die Fähigkeiten und Kenntnisse zu zeigen und zu bestätigen („empowerment“),
- sind Förderung, Unterstützung und Begleitung mit dem Ziel individueller Sinnfindung wesentlich,
- sind Leistungs- und Zeitdruck im Lernprozess zu vermeiden,
- zeigen Lehrende und adäquate Vorbilder „wie es geht“ – und dass „Können Spaß macht“,
- sind alle bereit, ihr Können zu teilen, und fähig, andere mitzunehmen,
- führen Erlebnisse zu Erfahrungen und Ergebnissen, die zu neuem Lernen motivieren,
- sind der Mensch, die Musik und das gemeinsame künstlerische Gestalten zentral,
- kann die*der Einzelne erfahren, dass das Handeln der anderen auch dem eigenen Wohl gilt,
- werden Eltern, Freund*innen und Verwandte sowie alle anderen interessierten Personen einbezogen,
- erfordert die Weiterentwicklung prozess- und systemrelevanter Strukturen auch eine Anpassung in der Verwaltung der jeweiligen Organisationen,
- sind die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, damit die erforderlichen Anpassungen hinsichtlich Organisation, Personal und Verwaltung geleistet werden können und eine auf Nachhaltigkeit angelegte Struktur gewährleistet werden kann,
- ist es wichtig, dass die Entwicklung inklusiver Formate (Strategien, Zugänge, Methoden) sowohl im Bereich der musikalischen Bildung als auch im gesamtgesellschaftlichen Bereich der Musikkulturen wissenschaftlich begleitet und transparent dargestellt wird, um situationsgerechte Weiterentwicklungen wie auch Bewusstseinsbildung zu gewährleisten.
Schlussfolgerung - Musik ist ein Kulturgut für alle Menschen
In der Musikpraxis stehen das musikalische Handeln und die ästhetische Erfahrung für alle im Mittelpunkt. Mit und durch Musik werden nicht nur musikbezogene, sondern auch kommunikative, soziale und interkulturelle Kompetenzen erworben. Musik bietet somit in besonderer Weise die Möglichkeit, Inklusion zu (er)leben und sichtbar zu machen.
„Lernen ist ein […] [interaktiver] Prozess. Deshalb ist ein Grundgedanke der Inklusion das individualisierte […] [Lernen], das allen Menschen zugute kommt. Gleichzeitig ist das in der Inklusion geforderte gemeinsame Lernen ein wesentlicher Baustein für eine soziale, durch Mitmenschlichkeit geprägte gesellschaftliche Entwicklung.“ Ein human geprägtes Welt- und Menschenbild sowie eine Kultur des Miteinanders und der Wertschätzung der Individualität und der Diversität sind Voraussetzungen für eine inklusive Musikkultur.
Musik für ALLE ermöglicht Prozesse für die Entwicklung von Identität, Persönlichkeit und Kreativität für die Gesamtheit der Gesellschaft.
Dieses Impulspapier wurde von folgenden Personen verfasst:
Irmgard BANKL, Erik ESTERBAUER, Christoph FALSCHLUNGER, Karl GARNITSCHNIG, Beate
HENNENBERG, Herta HIRMKE-TOTH, Angelika HOLZER, Petra LINECKER, Helga NEIRA ZUGASTY,
Shirley SALMON